Alpbach: Der etwas andere Zauberberg oder das geheime intellektuelle Zentrum Europas

Fern der globalisierten Metropolen, mitten in der imposanten Berglandschaft der Tiroler Alpen verbirgt sich ein kleines Dorf namens Alpbach. Die Wiesen scheinen dort vor Grün nur so zu strotzen und die Geranien auf den Holzbalkonen strecken ihre Köpfchen stolz in die pralle Bergsonne. Einzig die sanften Töne einiger Kuhglocken, die von Zeit zu Zeit im Tal wiederhallen, durchbrechen die Stille. Eine nahezu perfekte Idylle – ideal für den nächsten Entspannungsurlaub, fernab aller Probleme der Welt? Doch schon bald entlarvt sich die Ruhe als trügerisch…

Jedes Jahr im August verwandelt sich das Bergdorf Alpbach in ein internationales und europäisches Konferenzzentrum, das sich dem akademischen Austausch und der Verschränkung der verschiedensten Dispziplinen widmet – frei von jeglichen fachlichen, kulturellen, nationalen oder geistigen Grenzen. Heute bekannt unter dem Namen „European Forum Alpbach“ vereint Alpbach jedes Jahr für 17 Tage mehr als 700 Student/innen der ganzen Welt und lädt sie dazu ein, sich den großen Fragen und Kontroversen unserer Zeit zu stellen. Und dabei auf Politiker/innen, Wissenschaftler/innen und Intellektuelle aller Art zu treffen, in einer Atmosphäre ohne Hierarchien und Tabus. Zwischen den traditionellen Tiroler Gasthöfen und Wohnhäusern auf den ersten Blick kaum erkennbar, fügt es sich doch optimal in den grünen Berghang ein: das hochmoderne Kongresszentrum, 2016 von Jean-Claude Juncker feierlich eröffnet.

Werfen wir zuerst aber einen kleinen Blick in die Vergangenheit…

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Im fernen Jahr 1945 wandert eine Gruppe von Student/innen und Professor/innen durch die Tiroler Berge. Es ist kein Zufall, dass sie im abgelegenen Alpbachtal schließlich Zuflucht finden: Dessen geschütze Lage, weit entfernt von einer möglichen Besatzungszone im Kriegsfall, scheint ihnen ideal. Sie suchen einen Ort, um ihre Studienwochen abzuhalten. Aber nicht nur das, sie wollen eine Plattform des akademischen Dialogs und eine Gedankenschmiede für das Nachkriegseuropa schaffen. Sie wollen zukunftsweisenden, wenn auch gegensätzlichen Positionen Diskussionsraum geben, über die Entwicklung der Welt nachdenken und weitab der großen politischen Bühnen gemeinsam an einem friedlichen Europa bauen. Seither sind tausende von Student/innen und Professor/innen nach Alpbach gekommen, unter ihnen liest man Namen wie Sir Karl Popper, Theodor W. Adorno, Peter Sloterdijk, Friedrich A. von Hayek, Konrad Lorenz, Erwin Schrödinger, Ban Ki-Moon, Jacques Delors, Mario Monti, sowie Barbara Coudenhove-Kalergi. Sie kommen nach Alpbach, um zu debattieren und über fachliche und politische Zwänge hinweg nach Antworten zu suchen. Dies ist es, was die Organisator/innen des Forums noch heute antreibt.

Einige Zahlen und Details: Das Forum besteht aus 8 Gesprächen und einer Seminarwoche (in englischer Sprache), die alle Studienbereiche abdecken – von der Astrophysik über den Theaterworkshop der Royal Accademy of Dramatic Arts, von der Frage der Allgemeingüter bis hin zu den neuesten Erkenntnissen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. In etwa 5000 Teilnehmer/innen aus 90 Ländern sind jedes Jahr vor Ort, davon 700 Stipendiat/innen und 650 Speaker/innen. Die Stipendien, die den Student/innen die Teilnahme ermöglichen, werden zu Hälfte von der Stiftung des Forums selbst vergeben. Die andere Hälfte ist in der Hand des Alumninetzwerkes, das mit 30 Clubs in 19 Ländern vertreten ist. Sie nennen sich „Club Alpbach“ und sind in London, Brüssel, Belgrad, Wien, in Italien, Slowenien, Schweden und der Ukraine aktiv, um nur einige Beispiele zu nennen. Ihr Ziel ist es, jedes Jahr eine Gruppe engagierter Stipendiat/innen nach Alpbach zu schicken, doch sie bringen auch den vielbesagten „Spirit of Alpbach“ in ihre Städte, wo sie Diskussionsveranstaltungen im Alpbacher Stil organisieren. Zweimal im Jahr halten die Clubs Konferenzen in einer jeweils anderen Stadt ab, um Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam über die Entwicklung des Forums nachzudenken.

„In einer ruhigen Atmosphäre treffen Menschen aufeinander. Vielleicht sind es Menschen mit Macht, vielleicht sind es aber auch Menschen mit Träumen und Visionen, aber ganz sicherlich Menschen, die etwas bewegen wollen.“, meint Elisabeth, die 2016 als Stipendiatin am Forum war. „Am Ende stehen oft mehr Fragen als Antworten“, beschreibt Kathrin ihren Aufenthalt am Forum. Alpbach, das bedeutet heiße Diskussionen von früh morgens bis spät in die Nacht und die eine oder andere unerwartete Begegnung. Man findet sich etwa in einer Podiumsdiskussion im Publikum direkt neben dem Geschäftsführer eines internationalen Unternehmens wieder oder kommt bei einem Abendempfang plötzlich mit einem jungen Nobelpreisträger ins Schäkern. Aber Alpbach bedeutet auch, zwei unvergessliche Wochen in den Tiroler Bergen zu verbringen, zusammen mit Menschen aus aller Welt – nicht nur tiefe und jahrelange Freundschaften, sonder auch eine beträchtliche Anzahl an Ehen haben sich schon daraus entwickelt.

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In diesem Jahr wird das Forum zum 74. Mal stattfinden und sich dem Generalthema „Freiheit und Sicherheit“ widmen. Redner wie der ehemalige UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon und der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurden bereits angekündigt. Zudem kommen nach Alpbach: die ungarische Philosophin Ágnes Heller, der Schriftsteller Iljia Trojanow, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet, sowie der nobelpreisgekrönte Ökonom Joseph Stiglitz, um nur einige Namen zu nennen. „Wir müssen für die Freiheit planen, nicht für die Sicherheit.“, so der Forumspräsident Franz Fischler, früherer EU-Kommissar und politische Persönlichkeit in Österreich, und zitiert dabei Karl Popper.

So viele Jahre nach seiner Gründung durch die Handvoll Student/innen und Professor/innen, findet man am Europäischen Forum Alpbach noch heute einen Raum für offenen Meinungsaustausch dank einer hohen Diskussionskultur, bei der zudem verschiedenste Wissenschaftsdisziplinen miteinander verflechtet werden. Eine einzigartige Gelegenheit für alle jungen Menschen, die die Welt in Frage stellen und einen kritischen Blick auf die Wirklichkeit werfen wollen. Das Europäische Forum Alpbach, auch „Festival der Ideen“ genannt, möchte eine fruchtbare Basis für neue Gedanken und Kooperationen bilden. Es geht dabei nicht nur darum, das Gegenwärtige zu überdenken, sondern auch Inspirationen und konkrete Vorschläge für die Zukunft hervorzubringen. Und natürlich, Europa weiterzuentwickeln.

Vielleicht liegt der eigentliche Wert von Alpbach trotz allem aber nicht in den großen Debatten, sondern in der persönlichen Erfahrung und offenen Haltung, die man als Teilnehmer/in am Ende mit sich nimmt, wenn man nach den 17 Tagen dieses geheimnisvolle Bergdorf wieder verlässt. Das ist der Zauber von Alpbach. Um ihn zu verstehen, muss man ihn leben.

Mehr dazu im Video : https://www.youtube.com/watch?v=rM7o2c8flcA&t=1s

Und auf der Homepage des Forums www.alpbach.org .

Anna Wolf

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